Hinweis: Diese Website wird seit Juni 2024 nicht mehr aktualisiert. Hier geht es zur Nachfolgeseite: REBEL MIND BOOKS
Mythos Fachkräftemangel – Martin Gaedt
Dieses Buch räumt auf mit dem Mythos vom Fachkräftemangel. Treffsicher legt Martin Gaedt die Finger in die Wunde und entlarvt die Opferhaltung, in der es sich Personalverantwortliche, Unternehmer und Politiker bequem eingerichtet haben.
Denn die Geschichte vom Fachkräftemangel ist auch ein Versuch, die eigene Verantwortung abzuschieben. Genau das beweist „Mythos Fachkräftemangel: Was auf Deutschlands Arbeitsmarkt gewaltig schiefläuft“. Nicht mit plumper Polemik oder gewagten Thesen, sondern mit gut recherchierten Fakten und vielen Beispielen.
Das Fazit: „Fachkräftemangel haben die, die weitermachen wie bisher.“ Hilflosigkeit und Gejammer begegnet „Mythos Fachkräftemangel“ mit unkonventionellen Ideen, Erfolgsbeispielen und konkreten Handlungsanregungen.
Interview mit Martin Gaedt zu "Mythos Fachkräftemangel"
'Mit der gesellschaftlich anerkannten Ausrede Fachkräftemangel verschließen viele Unternehmen ihre Augen vor den wirklichen Problemen' lautet eine Deiner Thesen. Was sind die wirklichen Probleme?
Martin Gaedt: Unternehmen schreien ‘Fachkräftemangel’, nutzen aber 08/15-Stellenanzeigen und 08/15-Absagen oder antworten erst gar nicht auf eingehende Bewerbungen. Dass Unternehmen ‘Fachkräftemangel’ rufen, ist genauso absurd als würden sie ‘Kundenmangel’ schreien. Klar gibt es Unternehmen, die einen Mangel an Kunden beklagen. Bedeutet das, es gibt zu wenig Kunden? Ich behaupte, das ist der übliche Wettbewerb um die besten Kampagnen und Strategien. Im Produkt- wie im Bewerbermarkt. Es ist die unternehmerische Aufgabe, Kunden zu gewinnen – und Bewerber.
Ein Unternehmen geht aktiv auf Kunden zu und scheut dabei weder Kosten noch Mühen. In manchen Branchen führen 100 Kontakte zu einem Erfolg. Warum sollte das im Bewerbermarkt anders sein? Dabei hätten es die meisten Unternehmen bitter nötig. 99,6 Prozent der Unternehmen sind unbekannte kleine und mittlere Unternehmen, die für Bewerber unsichtbar sind. Wie sollen sich Bewerber bei unbekannten Firmen melden? Die nur 0,4 Prozent Konzerne ertrinken in Bewerbermassen, sie profitieren von ihren bekannten Produktmarken. Was wir Menschen nicht sehen, fühlen, erleben, gibt es für uns nicht. Zuerst müssen Unternehmen also sichtbar werden.
Und Stellenanzeigen helfen da nicht weiter?
Martin Gaedt: 80 Prozent aller Unternehmen schalten Stellenanzeigen und ruhen sich darauf aus. Leider sind die meisten Stellenanzeigen so gähnend langweilig und austauschbar, dass Bewerber sich zunehmend verweigern, sie zu lesen. Während 2012 noch 60 Prozent der Jobsuchenden Stellenbörsen nutzten, waren es 2013 nur noch 34 Prozent. Und die Aufmerksamkeit dieser Minderheit verteilt sich auf inflationäre 1.583 Stellenbörsen. Eine Stellenanzeige verpufft. Peng. Aber häufig ist es das Einzige, was Unternehmen tun, um sichtbar zu werden.
'Fachkräfte werden paradoxerweise ausgerechnet von denjenigen vertrieben, die sie am meisten brauchten: von den Arbeitgebern', sagst Du. Warum?
Martin Gaedt: Unternehmen sollten Bewerber wie ihre Kunden behandeln. Wer das macht, hat keinen Mangel an passenden Fachkräften. Positive Beispiele gibt es in allen Branchen und Regionen. Unternehmen signalisieren leider mehrheitlich ‘Hau ab, wir brauchen dich nicht’. Der wichtigste Kontaktpunkt zwischen Bewerbern und Unternehmen ist die Webseite des Unternehmens. Die schaut sich jeder Bewerber an. Was findet ein Bewerber dort? Infos zu Produkten, Firmenpräsentation, ‘Weltmarktführer’. Aber selten Gründe, die Bewerber magnetisch anziehen, keine relevanten Infos zu Arbeitszeiten, herausfordernden Aufgaben, Freiheiten und dem Außergewöhnlichen in diesem Betrieb. 40 Sekunden, um potenzielle Bewerber zu überzeugen. Dann surft er weg. Meistens findet er so schnell nicht mal den Link ‘Jobs’ oder ‘Karriere’. Und wenn doch, ist es dort meistens langweilig, leer und öde. Unsichtbar, kein Magnet, die Infos versteckt. Alles brüllt: Hau ab.
Die Minderheit, die all diese Hürden überwunden hat und sich bewirbt, erlebt dann das nächste Fiasko. Viele Unternehmen antworten gar nicht oder erst nach vier Wochen. Und genauso schlimm ist die Empfangsbestätigung aus einem Bewerbermanagementsystem: ‘Sehr geehrte Bewerberin/sehr geehrter Bewerber’. Das ist institutionalisierte Verarschung. Das Unternehmen weiß durch die Bewerbung alles, einschließlich des Namens. Also nutzen Sie ihn!
Emails an ‘Sehr geehrte Damen und Herren’ lösche ich grundsätzlich. Wer mich meint, findet meinen Namen. So gewinnt man weder Kunden noch Mitarbeiter. Mein Rat: Bewerben Sie sich inkognito in Ihrem Unternehmen. Prüfen Sie, ob Sie sich willkommen fühlen oder ‘Hau ab’ hören!
Egal wie willkommen die Jobsucher sich fühlen, man wird auch einigen Bewerbern absagen müssen. Und die werden von dem ‘hau ab’ nicht begeistert sein.
Martin Gaedt: Das ist der nächste Skandal. Die Mehrzahl guter Bewerber bekommt Absagen. 15 Bewerbungen, 10 Bewerbungsgespräche, 5 Kandidaten in der engeren Wahl. Nur ein Bewerber kann den Job bekommen. Die anderen vier, die auch gut sind und gepasst hätten, hören per Absage ‘Hau ab. Wir brauchen dich hier nicht.’ Dabei stellen diese vier Bewerber aktuell die höchste Bewerberqualität dar. Sie wollen in dieser Region und Branche arbeiten. Sie sind bereits qualifiziert und in der engeren Wahl. Ist es sinnvoll, ihnen abzusagen? Nein, es ist Schwachsinn. Die Gewohnheit schlägt zu: Das macht man so.
Im Einkauf kooperieren Unternehmen, weil man zusammen günstiger fährt. Dasselbe gilt im Recruiting, nur kooperiert dort keiner. ‘Sonst geht der Bewerber ja zur Konkurrenz!’ Das ist die meist genannt Ausrede. Deshalb bekommen diese guten Bewerber Absagen, statt sie im Netzwerk zu empfehlen. Und jetzt verrate ich ein großes Geheimnis: Wenn Sie den Bewerber nicht einstellen, nachdem Sie einem anderen den Zuschlag gegeben haben, geht ein Kandidat immer zur Konkurrenz.
Du schlägst vor, dass Personalverantwortliche zu Fachkräfte-Scouts werden sollen. Wie könnte das aussehen?
Martin Gaedt: Fußball-Scouts sitzen am Schreibtisch bis eine Bewerbung eines talentierten Fußballers ins Haus flattert. Das klingt absurd und wirkungslos, aber so verhalten sich die meisten Unternehmen. Sie warten darauf, dass Talente per Bewerbung ins Haus flattern. Die Scouts der Fußballvereine gehen hingegen raus auf die Plätze, wo gekickt wird. Dort suchen sie aktiv Talente.
Unternehmen müssen viel aktiver auf Bewerber zugehen. 70 Prozent der Absolventen in Ulm, Marburg, Gießen, Brandenburg, Osnabrück, Aachen wollen am Studienort bleiben. Sie fühlen sich wohl, haben sich gut eingelebt. Aber nur 30 Prozent bleiben, 40 Prozent gehen weg in der festen Überzeugung, dass es nichts für sie gibt. Allerdings: Hätten sie ein attraktives Angebot, würden sie bleiben. Attraktive Angebote müssen Unternehmen machen und dazu aktiv Absolventen gewinnen, BEVOR sie weggehen.
Das klassische Bewerbungsverfahren könnte komplett abgelöst werden durch Scouts in Bildungsorganisationen, Schulen, Hochschulen, Sportvereinen oder Schülerfirmen. Es gibt Tausende Wettbewerbe wie Jugend forscht und hunderte Mentoringprogramme wie Schülerpaten, Rock Your Life, Joblinge, Die Komplizen. Diese Trainer, Mentoren, Lehrer, Dozenten sammeln gigantische Mengen an informellem Wissen über Talente. Das meiste Wissen geht ungenutzt verloren. Mit Fachkräfte-Scouts, die zu Schülerfirmen, Mathematik-Olympiaden und Uni-Partys gehen, werden sie nutzbar.
Und es geht noch einfacher: Ein Unternehmer in Ostwürttemberg beschäftigt zehn Schüler. Jeden Samstag verdienen sie sich ein bisschen Taschengeld. Nach einem Jahr weiß der Unternehmer, wen er ausbilden will. Und der Auszubildende weiß genau, worauf er sich einlässt. Fluktuation gleich Null.
Gibt es noch mehr Beispiele dieses geglückten Rollenwandels?
Martin Gaedt: Ja, gerade in den nicht ganz einfachen Branchen Pflege, Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es positive Beispiele. Ein Pflegedienstleister in Niedersachsen räumt seinen Mitarbeitern mehr Zeit pro Person ein, die gepflegt wird. Die Folge: Keine Fluktuation und keine Nachwuchssorgen, obwohl sie etwas weniger Lohn zahlen als andere Pflegedienste. Bei einem Pflegedienstleister in Baden-Württemberg haben sich die Mitarbeiter selbst höhere Leistungsziele gesetzt als üblich, diese zeigen sie stolz nach außen, denn sie sind damit außergewöhnlich. Ein Hotel im Emsland hält sich einfach an die vereinbarten Arbeitszeiten. Die Folge: Keine Fluktuation. Die NORD LB kümmert sich bereits ein Jahr vor der Ausbildung um ihre potenziellen Auszubildenden und lädt auch deren Familien zum Kennenlernen ein. Am Tag des Ausbildungsbeginns kommt jeder Azubi, kein Vertrag platzt. Die PackSynergy bietet einen Ideen-Kapital-Topf, zu dem jeder Mitarbeiter per EC-Karte Zugang hat und für neue Ideen ohne jedes Formular Geld abheben kann.
Immer mehr Mitarbeiter suchen Unternehmen mit sinnvollen Produkten und Dienstleistungen sowie mit persönlich herausfordernden Aufgaben. Ein gutes Betriebsklima spricht sich herum. Drei von sieben Bewerbern, die Mitarbeiter ihrem eigenen Unternehmen empfehlen, werden eingestellt. Sie sind zudem überdurchschnittlich loyal.
Ich finde es tragisch, dass für viele Menschen Bewerbung mit Frust verbunden ist statt mit Job-Such-Lust. Das wollen wir ändern. Was gibt es Aufregendes als seinen Traum-Job und Arbeitgeber zu finden. Arbeitszeit ist Lebenszeit. Diese gilt es bestmöglich und erfüllt zu leben.
Was ist die wichtigste Handlungsempfehlung für Führungskräfte in mittelständischen Unternehmen, um für Fachkräfte attraktiv zu werden?
Martin Gaedt: Suchen Sie Ihre Bewerber aktiv – genauso aktiv wie Sie auf Kunden zugehen. Nutzen Sie Ihre regionalen Netzwerke und Branchenverbände, um bereits vorqualifizierte, entdeckte und für gut befundene Bewerber zu empfehlen und von Empfehlungen anderer Unternehmen zu profitieren. Das ist die höchste, aktuell verfügbare Bewerberqualität. Stärken Sie Ihr Netzwerk, Ihren Verband und Ihre Region. Über unsere Software cleverheads liegt der Aufwand der Personalabteilung für eine Empfehlung bei 45 Sekunden. Von einer Empfehlung profitieren sechs Beteiligte: 1. Bewerber, 2. einstellende Unternehmen 3. Branche, 4. Region, 5. Bildungspartner und 6. die empfehlenden Unternehmen: Sie refinanzieren ihr Recruiting über eine Empfehlungsprämie und ihr positives Image wächst, denn eine Empfehlung vergisst man nicht, im Gegenteil, man erzählt sie weiter. Das machen bereits 50 Netzwerke, aber warum nicht 10.000?
Außerdem: Werden Sie sichtbar. Suchen Sie das direkte Gespräch mit Schülern, Absolventen und Fachkräften jeden Alters. In Stuttgart hat kürzlich die älteste Azubine mit 53 Jahren ihre Bäckerlehre begonnen. Marketing heißt ‘Reden, reden, reden’. Im Personalmarketing wie im Produktmarketing. Sorgen Sie für Berichte in Medien über Außergewöhnliches in Ihrem Unternehmen. Schreiben Sie eigene Wettbewerbe aus wie ‘Jugend backt’. Öffnen Sie Ihr Unternehmen für regionale Veranstaltungen wie die ‘Lange Nacht der Industrie’. Nutzen Sie Web-Netzwerke und Plattformen, die Ihnen selbst Spaß machen. Es geht um Kommunikation, daher muss Ihnen die Art der Kommunikation liegen. Es gibt zig Text-, Video-, Foto-, Blog- und Musik-Plattformen. Ich selbst nutze XING und Twitter – auch zur Personalgewinnung. Das passende Medium muss jeder für sich selbst herausfinden. Und machen Sie aus Ihrer Webseite eine Bewerber-Oase mit magnetischer Wirkung.
Wenn dir "Mythos Fachkräftemangel" von Martin Gaedt gefällt, werden dir auch "Work Rules" von Laszlo Bock, "The Excellence Dividend" von Tom Peters und "Das anständige Unternehmen" von Reinhard Sprenger gefallen. Hier geht es zurück zur Übersicht der besten Wirtschaftsbücher.
Enter your text here...